Auch beim Arbeitnehmerschutz und bei der sozialen Sicherheit ist die Europawahl eine Richtungsentscheidung

Foto: Gerhard Wojwod

Der Bottroper SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Gerdes war viele Jahre als Betriebsrat auf Prosper-Haniel beschäftigt und gehört im Bundestag dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an. Vor der Europawahl am 26. Mai weist er darauf hin, dass die Abstimmung auch mit Blick auf die Arbeits- und Sozialpolitik eine Richtungsentscheidung ist. „Beide Politikfelder werden immer noch vorrangig als nationale Angelegenheiten wahrgenommen“, so Michael Gerdes. „Dabei können wir jetzt bei der Europawahl die Weichen für einen besseren Arbeitnehmerschutz und mehr soziale Sicherheit stellen.“

Die Herausforderungen seien groß, so der Bundestagsabgeordnete: „Globalisierung und Digitalisierung verändern die Art, wie wir leben und arbeiten. Unternehmen sind grenzübergreifend tätig. Die Vermögenswerte und Umsätze einzelner großer Konzerne entsprechen längst dem Bruttoinlandsprodukt wirtschaftsstarker Staaten. Gleichzeitig führt die Digitalisierung zu einem rasanten Wandel der Arbeitswelt. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um?“

Europas Rechtspopulisten und Nationalisten nutzten die Unsicherheit aus, um Ängste zu schüren, so Michael Gerdes. „Sie wollen die Grenzen wieder dicht machen und zurück in die Vergangenheit. Ihr Ziel ist ein Europa, in dem das Recht des Stärkeren gilt und jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Wohin das führt, wissen wir alle. Nicht nur der Frieden wäre dann in Gefahr, sondern auch die Rechte und Freiheiten, die wir Europäerinnen und Europäer uns über Jahrzehnte erkämpft haben. Junge Menschen wachsen heute in einem Europa auf, in dem es selbstverständlich ist, sich über Grenzen hinweg frei zu bewegen, in anderen Ländern zu arbeiten oder zu studieren. Und das soll auch so bleiben. Wir müssen Europa bei der anstehenden Wahl gegen die Feinde des europäischen Friedensprojekts verteidigen.“

„Wir sagen deshalb ganz deutlich: Wir können die Globalisierung und die Digitalisierung gestalten. Das gelingt aber nicht im nationalen Alleingang, sondern nur in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn“, so Michael Gerdes. „Gleichzeitig dürfen wir den Rechtspopulisten und Nationalisten nicht den Gefallen tun, die Europawahl auf die Frage ‚für oder gegen Europa‘ zu reduzieren. Unter den proeuropäischen Kräften gibt es viele verschiedene Antworten auf die Frage, wie wir mit den aktuellen Herausforderungen umgehen. Die Kernfrage ist: Wollen wir ein Europa, das in erster Linie großen Konzernen dient oder wollen wir ein Europa, das zuallererst für die Bürgerinnen und Bürger da ist? Bei der Europawahl entscheiden wir selbst, in welche Richtung die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren steuert.“

Für ein soziales Europa

„Die europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden nicht zulassen, dass die Globalisierung in erster Linie ein Wettlauf um die niedrigsten Steuern, Löhne und Sozialstandards ist“, so Michael Gerdes. Als einer der attraktivsten und größten Wirtschaftsräume der Welt habe die EU die Möglichkeit, hohe Standards zu setzen. Das gelte für den Verbraucherschutz, für den Umweltschutz und für die Rechte und den Schutz der europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Wie das konkret aussehen kann, zeigt ein Blick auf die vergangene Wahlperiode: Die europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben unter anderem durchgesetzt, dass in der Europäischen Union das Prinzip ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ gilt. Das Untergraben von Arbeits-, Sozial- und Tarifstandards wurde damit drastisch eingedämmt.

Ein weiterer sozialdemokratischer Erfolg ist die Weiterfinanzierung der Jugendgarantie. Seit 2013 gibt die Europäische Union das Versprechen, dass sie jungen Menschen unter 25 Jahren hilft, wenn sie keine Arbeit finden. Die Mitgliedsländer erhalten Fördergelder aus dem Europäischen Sozialfonds, damit sie Jugendliche nach spätestens vier Monaten in eine Beschäftigung, eine Weiterbildungsmaßnahme, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum vermitteln.

Außerdem haben sich im Jahr 2017 erstmals alle drei EU-Institutionen und die 28 EU-Regierungschefs zu einem sozialen Europa bekannt, in dem Lohn- und Sozialdumping keinen Platz haben. Gemeinsam haben sie die ‚Europäische Säule sozialer Rechte‘ beschlossen und in zwanzig Punkten Grundsätze für faire Arbeitsbedingungen und starke Sozialsysteme festgehalten. Dabei wurde unter anderem die Forderung der europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf mitaufgenommen.

„Die europäischen Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission müssen dem Bekenntnis zur Europäischen Säule sozialer Rechte jetzt konkrete Maßnahmen folgen lassen und einen echten Neustart für ein soziales Europa einleiten“, so Michael Gerdes. „Ein erster wichtiger Schritt wäre die Einführung eines europäischen Mindestlohns.“ Dieser soll nach Vorstellung der Sozialdemokraten in allen Mitgliedsstaaten gelten und bei 60 Prozent des mittleren Einkommens des jeweiligen Landes liegen. Damit alle ihren gerechten Beitrag zu einem sozialen Europa leisten setzen sich die europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für europaweite Mindeststeuersätze ein.

„Für uns ist klar: Nur wenn wir Lohn- und Sozialdumping unterbinden, wenn wir dafür sorgen, dass Tarifstandards eingehalten werden, dass europaweite Mindeststandards für gute Arbeit gelten und dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf eine soziale Absicherung verlassen können, die vor Armut schützt, können wir das Wohlstandsversprechen für alle Unionsbürgerinnen und -bürger einhalten“, so Michael Gerdes. „Das ist nicht nur das beste Mittel gegen die zunehmende soziale Ungleichheit, sondern auch gegen Rechtspopulismus und Nationalismus.“

Auf die Mehrheiten kommt es an

Wenn Kritik an der europäischen Politik geäußert wird, ist häufig pauschal von der EU die Rede. Die EU sei undemokratisch und intransparent, sie vertrete einseitig die Interessen der großen Konzerne. Aber wer oder was ist eigentlich die EU? Die EU, das sind wir alle! Denn wir Unionsbürgerinnen und Unionsbürger geben in Europa die Richtung vor. Wir wählen die nationalen Regierungen, deren Vertreter im Europäischen Rat und im Ministerrat Entscheidungen treffen. Und wir wählen Abgeordnete in das Europäische Parlament. In beiden EU-Institutionen gab es in den vergangenen Jahren konservative Mehrheiten.

Die europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in den letzten fünf Jahren eine ganze Menge erreicht. Aber für eine grundlegend andere Politik, für ein soziales Europa, braucht es eine starke Sozialdemokratie. Deshalb ist die Europawahl am 26. Mai eine Richtungsentscheidung. Wir haben es in der Hand.